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Anatomie des Flecks (Anatomische Schausammlung, Universität Tübingen), Mischtechnik auf Papier, 330 x 160 cm, 2006

Erst mit einer Prise Hässlichkeit wird es interessant

Der Universitätszeichenlehrer Frido Hohberger beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Sammlungen der Universität Tübingen. Er lässt sich nicht nur von ihnen inspirieren, sondern er baut auch Ausschnitte aus wissenschaftlichen Zeichnungen in seine Bilder ein. Er schafft außerdem vielteilige Tableaus, in denen er die Matrix und Struktur der Schaukästen nachbaut und in eigene Kunst überführt. Grund genug für „attempto!“ nachzufragen, welche Rolle Schönheit und Wissenschaft in seiner Kunst spielen.

attempto!: Was ist Schönheit für Sie als Künstler?
Frido Hohberger: Etwas Privates.

attempto!: Wie sehen Sie das Verhältnis von Schönheit und Wissenschaft?
Frido Hohberger: Wissenschaft tendiert zu einer gewissen Sicherheit und Objektivität. Kunst passt eher in den Bereich des Kultischen und der Imagination. Beide Bereiche werden zwar gerne konträr dargestellt, aber sie haben auch viel Gemeinsames: das Sammeln, der Suchprozess und die Intuition. Aber die Wissenschaft muss Dinge überprüfbar machen, ich nicht. Ich kann meinem Lustprinzip, meinen Gesichtern nachgehen. Auch dem Unbewussten, ob das Traum oder Witz sind, da spielt Freud für mich eine wichtige Rolle.

attempto!: Muss Ihre Kunst schön sein?
Frido Hohberger: Da ist immer die Sehnsucht nach dem Schönen, aber wie will man das definieren? Es ist zumindest nicht hübsch. Es muss der Kunst immer eine Prise Hässlichkeit beigemischt werden, damit Aufmerksamkeit, Neugier und Erkenntnisinteresse entsteht.

attempto!: Wäre nur Schönheit langweilig?
Frido Hohberger: Nur Schönheit ist schnell abgenützt und zu konstruiert.

attempto!: Gibt es nicht auch reine Schönheit?
Frido Hohberger: Natürlich gibt es wunderschöne Körper, nehmen Sie die Skulpturen der Antike, also das Phänomen der Symmetrie und des goldenen Schnitts. Aber wenn man ein Bild nur nach dem goldenen Schnitt aufbaut ohne Störung, dann wird es langweilig, die Harmonie ist zu offensichtlich. Die Schönheit wird erst dann richtig schön, wenn sie gepaart ist mit der Vergänglichkeit. Die zeitliche Begrenztheit zum Beispiel eines schönen Körpers stimuliert den Charakter der Sehnsucht und des Wünschens.

attempto!: Ist Aphrodite, die Venus von Milo, nicht heute noch schön?
Frido Hohberger: Aphrodite kann man in einem historischen Kontext sehr schön finden, würde sie aber heute gemacht, fände man sie lächerlich. In der Replik erlaubt man sich einen Schönheitsbegriff, der anachronistisch und nicht mehr zeitgemäß ist. Das kann man nur ironisch brechen, wie Jeff Koons, als Kitsch. Wie schnell Schönheit in Kitsch abdriften kann, zeigt, dass da gesellschaftliche Konventionen am Werk sind, dass die imaginären Museen im Kopf entscheidend sind. Im Dürer-Stil gewinnt man heute keinen Blumentopf.

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Im Gespräch: Frido Hohberger mit Eva Christina Zeller
Zeichnung ca 30×20 2013

Wir leben in einer Zeit, die gebrochen ist und die ich als wunderbar pluralistisch empfinde, damit geht ein gewisser Relativismus einher. Allgültige Sätze taugen nicht mehr. Ich finde es auch nicht mehr zeitgemäß, dass man nur einen „wahren“ Gott hat, darin liegt schon eine totalitäre oder rechthaberische Struktur. Genauso ist es bei der Ästhetik. Es gibt auch nicht die eine richtige Ästhetik, sie ist kontextabhängig, zielgruppenabhängig, lebensweltabhängig. Entscheidend ist immer die Perspektive. Es gibt ein anthropologisches Interesse an Schönheit. Ob Tiere das auch haben? Anthropologen sagen, sie hätten es nicht, da sie kein Bewusstsein vom eigenen Ende hätten. Es ist sehr menschlich, etwas schön zu finden. Das hat, wie gesagt, mit dem Tod und der eigenen Vergänglichkeit zu tun, und der daraus resultierenden Melancholie. Schönheit ist auch eine Sublimierung unerfüllter Wünsche. Eine Gefahr der Idealisierung, die dann wieder zum Kitsch tendiert. Das Ganze ist ein Balanceakt, der mit Störung, Opposition, aber auch Empfindsamkeit zu tun hat. Ein offenes „System“.

attempto!: Wenn Sie wissenschaftliche Zeichnungen in Ihre Bilder einbauen, welche Funktion hat dies – die der Störung?
Frido Hohberger: Auch Härte und Herausforderung, der ich mit Poesie und Subjektivität begegnen möchte. Alle wissenschaftlichen Zeichnungen wollen etwas zeigen, das Modellcharakter hat. Sie sind sinnlich verarbeitete Erkenntnisse der Wissenschaft und streben dadurch nach Allgemeingültigkeit. Meine Antworten sind das genaue Gegenteil. Aber sie haben damit etwas zu tun, wenn sie Formen und Strukturen aufgreifen, Kontraste aufbauen.Wissenschaftliche Zeichnungen versuchen, etwas zu klären, und dieser Klärungsprozess ist mit einem Gestaltungsprozess verbunden. Diesen Wunsch habe ich auch, damit das Bild nicht Brei wird.

attempto!: Geht es Kunst und Wissenschaft um Erkenntnis?

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Herzfigurine Collage/Zeichnung 43×61 2008

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Frido Hohberger: Um „Sinnliche Erkenntnis“ nach Alexander Gottfried Baumgarten. Das klingt etwas paradox, hat aber mit der Aufwertung der Subjektivität zu tun. Das ist die phänomenologische Betrachtungsweise, dass wir erstmal etwas anschauen. Das gefällt mir auch bei Darwin.Darwins große Reise Mischtechnik 400x160cm 2008

Er lernt als Wissenschaftler durch die Beobachtung, dass die Schnäbel der Finken sich nach den Lebensbedingungen verändern, dies ist eine Form sinnlicher Erkenntnis. Da gibt es Gemeinsamkeiten. Andererseits denken wir Künstler eher in Analogien und Assoziationen, nicht kausal. Ich vergleiche, ich suche Metaphern. Eine Kaffeekanne kann aussehen wie ein schöner Akt oder umgekehrt. Ich laufe durch die Landschaft und versuche etwas wiederzuerkennen, suche nach formalen Übereinstimmungen. Das ist aufregend und sehr unterhaltsam.

attempto!: Das Besondere im Allgemeinen suchen, wie das schon Goethe als Maxime aufstellte?
Frido Hohberger: Ich nehme mir die Freiheit des spielerischen Als-Ob. Ich stelle mir Darwin vor, wie er in aller Einsamkeit durch Südamerika stapft, alles hat mit allem für ihn zu tun. Dieses Modell mag ich, weil alles möglich wird. Also nicht voreingenommen zu sein durch eine Ideologie, sondern mein eigenes Schauen für so aufregend zu halten, dass ich auch mit meinen beschränkten Möglichkeiten in der Lage bin, etwas zu erkennen. Das ist ein großer Reiz. Neugier, Erkenntnisinteresse, Erotik haben etwas Gemeinsames und sind eine Art Lebenselixier. Auch in der Wissenschaft.

attempto!: Wie gehen Sie vor, wenn Sie wissenschaftliche Zeichnungen einbauen?
Frido Hohberger: Ich stelle mit einem gewissen Neid die Versuchsanordnungen nach. Die wissenschaftlichen Präsentationsformen sind hinreißend, zum Beispiel in Schaukästen. Wir gehen in die Universitätssammlungen, um zu zeichnen. Ich mache mehrteilige Bilder, weil mich die Schaukastenästhetik so fasziniert. Die Matrix meiner Darwinarbeit folgt der Idee des Sammelns. Ich hole mir Anreiz bei diesen Ordnungen, spiele aber mit ihnen. Auch die anatomische Schausammlung finde ich wunderschön, weil die Präparate und Modelle etwas Faustisches haben, das auch in der Kunst anwesend ist.

Drüsenfigurine
Drüsenfigurine Collage/Zeichnung 43×61 2010

attempto!: Beziehen Sie sich in der Wissenschaft vor allem auf alte Sammlungen oder gibt es auch Anregungen durch heutige Wissenschaft?
Frido Hohberger: Das zieht sich für mich durch bis zur Neuroästhetik: Etwas Verschlüsseltes und Rätselhaftes wird zum Beispiel mit mehr Aufmerksamkeit bedacht, weil man herausfinden will, was dahintersteckt. Es gibt eine große Verwandtschaft zwischen Kunst und Wissenschaft. Logik kann schön sein und Schönheit kann logisch sein.Wissenschaftlichen Purismus kann ich auch in einem reduzierten japanischen Bild finden. Die Konzentration ist für beide wichtig. Ich finde es faszinierend, wenn Frau Nüsslein-Volhard ein Leben lang Fruchtfliegen und Zebrafische untersucht. Das hat mit der Aphrodite insofern etwas zu tun, weil ein Bildhauer die gleiche Konzentration, Beharrlichkeit und Vorstellungskraft aufbringen muss. Wissenschaftler brauchen auch eine Motivation, sie müssen Freude an ihrer Wissenschaft haben.

attempto!: Sie setzen in Ihren Bildern Ausschnitte aus wissenschaftlichen Zeichnungen neben formähnliche und formaufnehmende Zeichnungen aus Ihrer Hand. Welche Rolle spielt die subjektive und die objektiver Erkenntnis in ihrer Kunst?
Frido Hohberger: Die verallgemeinernden Zeichnungen sind objektiv gemeint. Eine anatomische Zeichnung ist schon immer eine Definition. Ein Darm sieht in Wirklichkeit aus wie ein Klumpen, erst durch die wissenschaftlichen Zeichnungen wird er prägnant und klar.
Darmfigurine
Darmfigurine Collage/Zeichnung 43×61 2012

Wir halten diese Bilder für die Realität, aber das sind sie nicht, es sind bildliche Definitionen. Insofern steckt in ihnen ein hohes Maß an Verallgemeinerung, die suggeriert, sie meine alle Därme der Welt. Das breche ich wieder, weil es mich als Opposition reizt und weil ich diese Verobjektivierung individualisieren will. Hat man ein großes Glas mit Objektivität und gibt einen Tropfen Subjektivität dazu, kann die Flüssigkeit kippen. Gibt man in ein großes Glas von Subjektivität einen Tropfen Objektivität, gewinnt die Substanz. Insofern kann man von dem Anderen lernen. Neugier und Lernen gehören zusammen. Es ist dann schön, wenn ich etwas neues erfahre oder lerne, wenn ich die Gummizelle der Erkenntnis, in der ich mich befinde, ein bisschen nach außen drücke. Da gibt es auch eine Übereinstimmung mit der Wissenschaft, nämlich die Erkenntnis des eigenen Unvermögens, Versuch und Irrtum, das permanente Berühren der Ausdrucksgrenze, die auch eine Erkenntnisgrenze sein kann. Das macht für mich Lebenssinn aus, dadurch wird es nicht langweilig. Um wieder zur Schönheit zu kommen: Ist sie gesättigt, kann sie langweilig werden, weil sie dann keinen Zauber, kein Geheimnis mehr hat. Lernen setzt voraus, dass es Geheimnisse gibt, die noch offen sind und die ich bildnerisch „erforschen“ will. Dieser Prozess ist für mich schön.